Reviews and Comments

Nils Müller liest

weltenkreuzer@tomes.tchncs.de

Joined 2 years ago

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Ada Palmer: Inventing the Renaissance (2025, University of Chicago Press) No rating

The Renaissance is one of the most studied and celebrated eras of history. Spanning the …

Ich habe noch gar nicht wirklich angefangen und ich liebe das neue Buch von @adapalmer@wandering.shop schon. Es ist einfach ein unglaubliche Kombination aus extremem fachlichem Wissen, gleichzeitig einer ganz ganz starken intellektuellen Fähigkeit zu Reflexion und Bescheidenheit und dann noch sprachlichem, schriftstellerischem Können, wie man es echt selten findet. Großartig.

Adrian Tchaikovsky: Elder Race (EBook, 2021, Tom Doherty Associates) 5 stars

Lynesse is the lowly Fourth Daughter of the queen, and always getting in the way. …

Science-Fantasy mal anders

5 stars

Elder Race ist tatsächlich mein erstes Buch von Adrian Tchaikovsky - und warum zum Teufel habe ich so lange damit gewartet, mal etwas von ihm zu lesen? In dem eher kurzen Roman erzählt der Autor eine doppelte Geschichte: Da ist eine in Ungnade gefallene Prinzessin, die versucht, mit der Hilfe eines mysteriösen Magiers der "Elder Race" ein gefährliches Monster zu besiegen und so bei ihrer Familie Anerkennung zu finden. Dann ist da aber auch noch ein Anthropologe der Menschheit, der den Forschungsposten auf einer weit abseits gelegenen Kolonie betreut und schon seit Jahrzehnten den Kontakt zur Erde verloren hat.

So erzählt Tchaikovsky dieselbe Geschichte aus zwei Perspektiven, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und es trotz aller Versuche auch nicht schaffen, wirklich miteinander zu kommunizieren. Ein für mich bisher vollkommen unbekannter Take für das etablierte Genre der Science-Fantasy. Lesen.

Donella H. Meadows, Diana Wright: Thinking in Systems (2008) 4 stars

Grundlegend, heute aber nur noch Grundlagen

3 stars

Das Buch, das zum ersten Mal Anfang der 1990er Jahre als Entwurf Beachtung fand und erst nach dem Tod der Autorin 2008 erstmalig offiziell veröffentlicht wurde, beschreibt die Grundlagen eines systemischen Denkens aus komplexen Zusammenhängen und Wechselwirkungen. Dabei fokussiert sich die Autorin in erster Linie auf die absoluten Grundlagen und beschreibt insbesondere die Funktionsweise von Regelsystemen mit mehreren In- und Outputs.

Für die "damalige Zeit" war das sicherlich in einigen Bereichen neu, aus heutiger Perspektive liest es sich jedoch sehr vereinfacht und ironischerweise unterkomplex. Mittlerweile ist das Denken über komplexe Systeme einfach bereits wesentlich weiter. Selbst mit Blick auf den Zeitpunkt seines Entstehens scheint mir dieses Buch ein Beispiel dafür zu sein, wie formale Wissenschaften wie Informatik oder VWL Phänomene entdecken, die informelleren Wissenschaften wie z.B. der Soziologie schon lange bekannt sind - und sie dann als Neuheit verkaufen. Als Transferleistung sicherlich zu würdigen, aber eben nicht als revolutionär neue …

Joseph O'Neill: Godwin (2024, Knopf Doubleday Publishing Group) 5 stars

Fußball als Spiegel des modernen Lebens

5 stars

Dem Klappentext nach ist "Godwin" von Joseph O'Neill ein Roman über das schmutzige Geschäft des Fußballs; vielleicht auch noch über Afrika, Europa und die Ausbeutung, die beide Kontinente seit Jahrhunderten verbindet. So war ich doch ein wenig überrascht, als die ersten 20 so absolut gar nichts mit Fußball zu tun haben und sich in erster Linie mit dem Management einer Kooperative von technischen Autor*innen befasst.

Auch danach geht es lange nicht um Fußball, sondern um komplizierte Familienbeziehungen, gewagte Geschäftsideen, Vertrauen und Betrug. Irgendwann taucht dann auch die Figur auf, die dem Roman ihren Namen gibt, aber der Fußball bleibt weiterhin mehr Thematisches Setting als tatsächlicher Treiber der Handlung.

Doch das macht überhaupt nichts, denn mit den beiden parallel laufenden und verwobenen Geschichten von Mark und Lakeesha zeichnet O'Neill ein fesselndes Panorama über genau die oben beschriebenen Themen. Es geht auch um Lebenspläne, Ernüchterung und Türen, die sich auftun, aber auch …

Andreas Eschbach: Die Abschaffung des Todes (Deutsch language, Lübbe) 4 stars

Old School aber spannend und ideenreich

4 stars

Mit "Die Abschaffung des Todes" schreibt Andreas Eschbach mal wieder einen seiner Techno-Thriller, in denen er eine spannende und reißerische Handlung nutzt, um technologische und philosophische Ideen vorzustellen. Dabei hat man in diesen Büchern von ihm immer das Gefühl, dass die Handlung zwar sehr gut konstruiert ist, aber im Kern nur dazu dient, die Hauptfigur von einem erklärenden Monolog zum nächsten zu geleiten und den Leser dabei nicht zu verlieren.

Die Balance zwischen diesen beiden Aspekten gelingt Eschbach mal mehr und mal weniger gut, dieses Buch ist jedoch mal wieder ein Positivbeispiel: Während seine Hauptfigur dem Geheimnis hinter einem neuen Tech-Start-up nachspürt, lernt sie genau wie die Lesenden eine Menge über das Funktionieren des Gehirns, die Philosophie des Geistes und die technologischen Möglichkeiten, Intelligenz abzubilden.

Das scheint mir im Kern souverän, aber auf das Bild des Gehirns als signalverarbeitendem „Computer“ beschränkt. Das passt natürlich, weil der Roman ja genau im …

Christine Rosen: Extinction of Experience (2024, Norton & Company, Incorporated, W. W.) 2 stars

Bleibt sehr unkonkret und einseitig kulturkritisch

2 stars

Auch wenn die Autorin sich ein hehres Ziel setzt, die Rolle echter physischer Erfahrungen herauszuarbeiten, gelingt ihr das in diesem Buch leider nur sehr begrenzt. Das liegt in erster Linie daran, dass sie – wie so viele andere Arbeiten zu diesem Thema – einen harten Gegensatz zwischen der digitalen und der analogen Welt aufmacht. Wechselwirkungen zwischen diesen beiden Welten, beziehungsweise ihr nahezu vollständiges Verschmelzen, sind nicht vorgesehen.

Gerade für Gruppen, die bislang nicht im Zentrum der Gesellschaft stehen oder die weniger privilegiert sind, sind eben die unmittelbar verfügbaren Erfahrungen nicht immer die besseren. Dieser Aspekt bleibt jedoch in ihrem Buch vollständig außen vor, das sich so in die lange Reihe einseitiger Kulturkritik einreiht – nicht, dass es an der einen oder anderen Stelle nicht auch valide Punkte ansprechen würde.

Sarah Brooks: Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland 5 stars

Irgendwo zwischen Haruki Murakami und Jeff Vandermeer

5 stars

Ich bin ja eigentlich nicht so der Freund von Büchern, die ihren Fokus darauf legen, eine „weirde“ Verfremdung unserer Welt vorzustellen. Jeff Vandermeers „The Southern Reach“-Reihe war mir zum Beispiel einfach zu fremd, ähnlich wie manche Romane China Mievilles. Gleichzeitig mag ich das leicht lakonisch-entrückte von Autoren wie Haruki Murakami.

Wie gut, dass „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“ hier eine perfekte Balance schlägt. Im Gewand eines historischen Romans erzählt Sarah Brooks die Geschichte einer etwas anderen Transsibirischen Eisenbahn, die auf ihrem Weg von Peking nach Moskau ein Gebiet durchqueren muss, in dem sich Flora und Fauna ständig verändern und für uns Menschen gefährlich sind. Aber was ist eigentlich genau die Gefahr, die von diesem Gebiet ausgeht?

Ich habe den Roman als Auseinandersetzung mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Natur gelesen. Als Metapher auf den Mensch, der die Natur nur dann mag, wenn sie ihm dient; wenn er …

Trudi Canavan: Maker's Curse (2020, Little, Brown Book Group Limited) 4 stars

Etwas aufgesetzt, an sich, aber spannend und souverän erzählt

4 stars

Auch das vierte und letzte Buch der Reihe Millennium’s Rule von Trudi Canavan ist eine flotte und actionreiche Fantasy-Geschichte mit bekannten Figuren und Themen: Es geht um den verantwortlichen Umgang mit Macht, Krieg und seine Konsequenzen und diesmal auch eine sehr deutliche Kritik an der rücksichtslosen Ausbeutung globaler Ressourcen. Die Kapitalismuskritik ist ohnehin ein Thema, das sich durch die vier Bände zieht, auch wenn es hier am deutlichsten herauskommt.

Die erste Hälfte des Buchs liest sich dann auch wie ein Epilog auf die bisherige Reihe, der zahlreiche Handlungs- und Charakterfäden an ein befriedigendes Ende bringt. Die zweite Hälfte bringt dann eine neue Geschichte, die wiederum etwas aufgesetzt wirkt, an sich, aber spannend und souverän erzählt wird.

Trudi Canavan: Successor's Promise (Millennium's Rule) (2018, Orbit) 4 stars

Spannende und flotte Geschichte

4 stars

Im dritten Band der Reihe stellen sich Rielle und Tyen einer weiteren Herausforderung. Dafür müssen sie neue Kräfte erlangen und mit diesen umgehen lernen. Sie erkennen aber auch, welche Verantwortung und welche Risiken mit großer Macht einhergehen.

Wieder schafft es Canavan sehr gut, eine spannende und flotte Geschichte zu erzählen und gleichzeitig Figuren wie Themen zu entwickeln. Tyens und Rielles neue Kräfte bringen nicht nur Vorteile mit sich, sondern stürzen sie zusammen mit der großen Bedrohung in Dilemmata, die sich nicht eindeutig auflösen lassen. Die Geschichte an sich wirkt jedoch irgendwie aufgesetzt und etwas künstlich an den zweiten Teil herangeflanscht.

Matteo Pasquinelli: The Eye of the Master (2023, Verso) 5 stars

Viele spannende Impulse und trägt zu einem differenzierteren Gesamtbild der Geschichte des Computers bei

5 stars

Mit der weiteren Verbreitung von „künstlicher Intelligenz“ scheint jetzt auch die Wissensarbeit vor einer Welle der Automatisierung zu stehen. Dabei ist diese Entwicklung keineswegs neu, wie Matteo Pasquinelli in seinem Buch The Eye of the Master zeigt. Vielmehr ist die Entwicklung von Computern und digitalen Algorithmen ganz eng mit der Organisation und Arbeitsteilung verbunden - physischer wie mentaler Arbeit. Zentrale Entwicklungen, wie beispielsweise die Differenzmaschine von Charles Babbage, entstanden aus einer intensiven Auseinandersetzung mit Formen der Arbeitsteilung in der jeweiligen Zeit.

Pasquinellis Buch fand ich ideengeschichtlich höchst interessant, gerade weil es zeigt, wie die aktuelle KI-Welle in einer langen Tradition steht. Sie ist keineswegs neu, sondern von Beginn an in der Entwicklung von Computern und Algorithmen angelegt. Dabei ist das Buch theoretisch allerdings relativ anspruchsvoll und meiner Wahrnehmung nach nicht immer komplett stringent argumentiert. Es liefert aber viele spannende Impulse und trägt zu einem differenzierteren Gesamtbild der Geschichte des Computers …